Interview mit Prof. Dr.-Ing. Malte Kob (Professor am Erich-Thienhaus-Institut, Hochschule für Musik Detmold) über die tontechnisches Möglichkeiten des Konzerthauses Detmold vom 12. August 2019
Im Rahmen des Projektseminars Komponieren und Neue Musik 2019/2020 führten Svenja Volpers und Kai Brandebusemeyer das folgende Interview mit dem Professor für „Theorie der Musikübertragung“ Prof. Dr.-Ing. Malte Kob über die tontechnischen Möglichkeiten des Konzerthauses Detmold im Hinblick auf ein Konzert mit Werken von Karlheinz Stockhausen.
Welche konkreten Anforderungen stellt Stockhausens GESANG DER JÜNGLINGE an die Ausstattung des Konzerthauses? Welche Schwierigkeiten tun sich dabei auf?
Jedes Konzerthaus hat eine eigene Akustik. Diese Akustik lässt sich vom Komponisten (in diesem Fall Stockhausen) schlecht kontrollieren. Der Komponist müsste also eigentlich mit der gegebenen akustischen Situation im Konzerthaus arbeiten. Deshalb kann er für künftige Aufführungen eigentlich nur in seiner Komposition angeben, was er sich gern wünscht. Ob es dann so realisiert wird, mit großem Auditorium in einem Konzerthaus, das ist eine andere Frage. Tonmeister sind aufgefordert, diesen Kompromiss zwischen dem, was der Komponist sich gedacht hat, und der Akustik des Konzerthauses zu vermitteln.
Grundsätzlich handelt es sich bei GESANG DER JÜNGLINGE um ein vier- bzw. fünfspuriges Werk, bei dem die Musik ausschließlich vom Band kommt. Die Aufnahme soll so reproduziert werden, wie sie im Original eingespielt wurde. Die Akustik des Konzerthauses ist für Kammermusik oder für kleine symphonische Werke optimiert und hat eine Nachhallzeit von 1,6 Sekunden. Diese Eigenschaft führt dazu, dass jegliche elektroakustische oder auch sonst dargebotene Musik mit dem Hall des Konzerthauses unveränderlich verknüpft wird. Dies bedeutet demnach, dass die Tonspur des Bandes, – mag es trockener Klang sein, mag es bereits mit Hall versehender Klang sein, – durch den Hall des Konzerthauses nochmals verhallt wird. Besonders abrupte Übergänge, zum Beispiel sehr trockene Passagen, die in dem Stück sehr häufig vorkommen, werden durch den Hall des Konzerthauses aufgeweicht, verhallt und atmosphärisch gestaltet. Dies geschieht bei jeder Aufführung in einem realen Raum und kann sich als problematisch erweisen. Wenn der Komponist bei seiner Komposition aber befürwortet, dass es hallt, und dass wir atmosphärischen Raum für die Aufführung haben, kann dieser Aspekt auch positiv sein. Allerdings lässt sich dies im Konzerthaus nicht abschalten. Die Alternative wäre, in einen Raum, in dem sich die Akustik weitgehend kontrollieren lässt, den Nachhall zu reduzieren. Das könnte im Konzerthaus nur mit viel Aufwand realisiert werden, indem bspw. die Wände verkleidet oder die Decke abhängt werden.
Stockhausen hatte keine Wellenfeldsyntheseanlage, sondern Lautsprecher. Er hat vorgegeben, wo diese hinzustellen sind. Wenn ich sage, dass der eine Schall von vorne links kommen soll und der andere von vorne rechts, dann funktioniert das in einem Stereodreieck ganz gut, aber nicht in anderen Bereichen, zum Beispiel bei den Zuschauern, die in der Ecke oder am Rand eines Saals sitzen. Man kann die Richtung der Wiedergabe bei einzelnen Lausprechern folglich nicht optimal gestalten. Als Besonderheit im Konzerthaus ist durch die Wellenfeldsyntheseanlage gegeben, dass im Prinzip jedes Instrument so wiedergeben werden kann, dass es für jede Hörer*in aus einer bestimmten Richtung zu kommen scheint. Die Vorgabe „Schall bitte aus 45 Grad links“ lässt sich mit Hilfe der Wellenfeldsynthese relativ gut realisieren, und alle Zuhörerinnen und Zuhörer haben ein ähnliches Klangerlebnis.
Welche Aufgaben kommen auf die Tonmeisterinnen und Tonmeister vor und bei der Aufführung zu?
Eine wesentliche Aufgabe ist die Planung der Wiedergabe, der Abstände der Lautsprecher, die Auswahl der Lautsprecher, die digitale Wiedergabeorganisation, das Einpegeln und die Frage, wie viel Hörerfläche räumlich gut abgebildet werden kann.
Warum ist die Wellenfeldsynthese so besonders integral für die Komposition Stockhausens, wenn von ihm selbst Mono- und Stereo-Versionen des Stückes für Schallplatte existieren?
Was passiert, wenn man ein Stück hat, welches eigentlich mehrkanalig ist und dies herunterbricht auf Mono- oder Stereovarianten? Das ist eine ganz alte Frage. Was geht verloren? Wenn die Richtungseindrücke verloren gehen, ist das dann schädlich für die Stücke? Zudem gibt es bestimmte Effekte, die akustisch nur funktionieren, wenn mehrere Kanäle verwendet werden. Beispielsweise Interferenzen, Stereoeffekte, Überblendeffekte und Richtungseffekte, die ganz individuell im Überblenden von Schallquellen, von einem Kanal auf den anderen funktionieren. Das Ziel ist, auch für Kathinka Pasveer, eine möglichst authentische Aufführung zu gewährleisten. Mögliche Verbesserungen der Aufführung könnten stattfinden, indem zum Beispiel die Wellenfeldsynthese erlaubt wird und nicht nur das Überblenden zwischen zwei Lautsprechern. Zusätzlich könnte eine Höheninformation mit eingespielt werden. Des Weiteren können wir sehr feine Übergänge und Bewegungen zwischen den einzelnen Lautsprechern realisieren. Man benutzt die Wellenfeldsynthese dann nicht nur für die Nachbildung einer Schallrichtung, sondern nur zur Simulation von Lautsprechern. Diese etwas filigranere Methode wäre dann, die Aufführungsvorgaben und die Richtungsangaben für die einzelnen Kanäle mit sogenannten virtuellen Quellen zu realisieren. Dies bedeutet, dass man einfach die realen Lautsprecher durch virtuelle WFS-Lautsprecher ersetzt. Dann hat man dieselbe Situation, die damals Stockhausen hatte, aber zusätzlich noch mehr Flexibilität, die allerdings auch eine Variabilität in der Interpretation mit sich bringt. Da stellt sich die Frage, was Kathinka Pasveer an Modifikationen zulässt, und ob die Tonmeisterinnen und Tonmeister sich zutrauen diese zu realisieren.
Erzählen Sie uns ein wenig über die Geschichte der hiesigen Wellenfeldsynthese: Wann, warum und wofür wurde diese eigentlich eingerichtet und wie wurde diese Technik entwickelt?
Wir haben im Konzerthaus zwei Wellenfeldsynthesesysteme. Das eine ist die große, mit 333 Lautsprechern bzw. einzelnen Kanälen, das andere ist ein kleines System mit 80 Kanälen in einem Wellenfeldstudio im Keller des Erich-Thienhaus-Instituts. Beide dienen der Ausbildung von Studierenden einerseits und der Aufführung von Musik andererseits. Die Anlage im Konzerthaus hat zwei Hauptbetriebsfunktionen; die eine ist die Wiedergabe von virtuellen Quellen wie oben beschrieben, die andere Funktion bewirkt, dass das akustische Signal im Konzerthaus, also Gesang oder die Orgel beispielweise, mit zusätzlichem Nachhall versehen werden kann. Damals wurde neben der Wellenfeldsynthese zusätzlich ein Nachhallprozessor installiert. Diese Kombination von beiden Systemen erlaubt es, einen akustischen Nachhall über die 1,6 Sekunden Nachhallzeit hinweg zu ermöglichen, sodass wir bis zu 5 Sekunden Nachhall im Konzerthaus realisieren können. Das ist insbesondere für symphonische Musik oder auch Kirchenmusik eine schöne Möglichkeit, die Akustik des Konzerthauses werkgerecht zu modifizieren. Diese Variante ist die häufig von Musikern genutzte Variante. Die andere Möglichkeit erweitert die Aufführungsmöglichkeiten moderner Stücke, von Hörspielen und Eigenkompositionen bis zu experimenteller Musik, wie durch das Ensemble Earquake. Es werden bspw. verschiedene räumliche Wiedergabemöglichkeiten ausprobiert und in Konzerten verwirklicht.
Wofür haben Sie die Anlage im Konzerthaus bereits genutzt?
Wir haben seit mehreren Jahren regelmäßig Konzerte und Proben im Rahmen der Wellenfeldspielräume. Jeden letzten Mittwoch im Monat des Semesters können Dozentinnen und Dozenten sowie Studierende die Anlage des Konzerthauses experimentell nutzen. Es geht darum, individuelle und innovative Ideen für die Verräumlichung von Musik umzusetzen. Wir hatten eine Zeit lang eine sehr intensive Zusammenarbeit mit DAAD-Professoren im Klangregiebereich. Solche Kooperationen, wie die aktuelle Aufführung von Stockhausen, sind eine sehr interessante und spannende Möglichkeit für unsere Studierenden.
Beschreiben Sie die Anlage einmal näher: Was sind die Besonderheiten am Standort Detmold und wofür eignet sich die hiesige Wellenfeldsynthese besonders?
Unser großer Vorteil ist, dass wir zwei unterschiedliche Konzerthausanlagen haben, die jedoch mit derselben Software betrieben werden können. Das ist sehr günstig, weil die Möglichkeit besteht, den WFS-Studiokeller für die Vorbereitung einer Aufführung zu nutzen. Studierende, die dort etwas ausprobieren möchten, können sich somit beliebig lange mit der Anlage vertraut machen und bereits auf der kleinen Anlage die Wiedergabe vorbereiten. Anschließend wird beim Umzug auf die Konzerthausanlage dieselbe Komposition auf einem Stick mitgebracht und abgespielt. Dann werden nur noch ein paar Anpassungen vorgenommen, um die Nachhallsituation in den Griff zu bekommen und bspw. zu überlegen, ob die räumliche Vertikalebene einbezogen werden soll. Das ist besonders reizvoll, wenn Effekte gewünscht sind, in denen sich Schall nach oben bewegt, wie beispielsweise bei der Aufführung des Narrenschiffs. Bei dieser konnte der Effekt vom Sturm und dem Möwengeschrei, das über das Schiff fliegt, recht realistisch realisiert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!