Abgeschlossene Pro­jekte

Hier finden Sie eine Übersicht über abgeschlossene Forschungsprojekte des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn.

Beeth­oven in the House (2020–2023)

Pressemeldung zur Genehmigung des Projektes im April 2020

Rund 200 Jahre nach seinem Tod gehört Ludwig van Beethoven noch immer zu den weltweit meistgespielten Komponisten. Im 19. Jahrhundert sorgte die Hausmusik dafür, dass Bürger seine Werke nicht mehr nur im Konzertsaal, sondern auch daheim genießen konnten. Aus kompliziert komponierten Werken Beethovens entstanden bearbeitete einfachere Fassungen, die gut im Privaten zu spielen waren. Bislang wurden die Hausmusik-Bearbeitungen allerdings kaum erforscht. Wissenschaftler des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn, der University of Oxford und des Beethoven-Hauses Bonn wollen das ändern. Ihr neues knapp dreijähriges Forschungsprojekt „Beethoven in the House: Digitale Studien zu Bearbeitungen für Hausmusik“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem britischen Arts and Humanities Research Council mit rund 813.000 Euro gefördert.

„Hausmusik war das musikalische Massenmedium des 19. Jahrhunderts. Bearbeitungen bekannter Werke wurden daheim am Klavier oder in kleinen Besetzungen, etwa in Streichquartetten, gespielt“, erklärt Dr. Johannes Kepper. Er leitet das Projekt am „Zentrum Musik-Edition-Medien“ (ZenMEM) des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn zusammen mit Dipl. Wirt.-Inf. Daniel Röwenstrunk. Das neue Forschungsprojekt der Wissenschaftler verfolgt ein inhaltliches und ein technisches Ziel: Zum einen sollen bekannte Hausmusik-Bearbeitungen einiger Beethoven-Werke systematisch wissenschaftlich erschlossen werden. Zum anderen werden in Detmold und Oxford entwickelte Werkzeuge und Techniken, mit denen sich Notentexte digital archivieren und strukturieren lassen, erstmals kombiniert.  

„Gerade für Werke Beethovens liegen uns zahlreiche Hausmusik-Bearbeitungen vor. Obwohl die Gattung Hausmusik wesentlich dazu beitrug, Musik abseits der Konzertsäle zu verbreiten und Bürger musikalisch zu bilden, wurden Hausmusik-Bearbeitungen von der Musikwissenschaft bislang kaum systematisch untersucht“, erläutert Johannes Kepper. Er und seine Kollegen wollen daher im Beethoven-Haus Bonn bekannte Arrangements von Beethovens 7. und 8. Sinfonie sowie von seinem Orchesterwerk „Wellingtons Sieg“ auswerten. Außerdem werden die Bestände der Bodleian Libraries der University of Oxford nach interessanten Hausmusik-Bearbeitungen von Beethovens Werken durchsucht. „So können wir die Breite der Hausmusik-Bearbeitungen abschätzen und ein möglichst repräsentatives Bild entwerfen. Unser Projekt soll dazu beitragen, ein besseres Verständnis von der hausmusikalischen Praxis des 19. Jahrhunderts und ihren typischen Merkmalen zu bekommen“, schildert Daniel Röwenstrunk den Ansatz.

Digitale Techniken ermöglichen genauere Untersuchung der Hausmusik-Bearbeitungen

Nachdem die Hausmusik-Bearbeitungen inhaltlich untersucht wurden, kommt die technische Ebene des Projekts ins Spiel: Einige der Bearbeitungen werden mithilfe von speziellen Werkzeugen und Softwaretechniken digitalisiert. „Wir arbeiten etwa mit den Techniken des ‚Music Information Retrieval‘ und der ‚Optical Music Recognition‘. Damit können wir Notentexte von Hausmusik-Bearbeitungen teilweise im Volltext erfassen. So entsteht eine Codierung des Notenbilds“, erzählt Johannes Kepper. Diese Codierung ermöglicht es den Wissenschaftlern, die Hausmusik-Bearbeitungen weiter auszuwerten, also etwa deren Aufbau genauer zu erforschen und herauszufinden, wie ein Stück an bestimmten Stellen gekürzt und vereinfacht wurde.

Methoden der digitalen Musikwissenschaft aus Deutschland und Großbritannien werden erstmals kombiniert

Bei „Beethoven in the House“ wollen Kepper und Röwenstrunk die von ihnen entwickelten Werkzeuge und Softwaretechniken mit denen der Kollegen in Oxford kombinieren und so kompatibel machen. Die im ‚Virtuellen Forschungsverbund Edirom‘ des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn entstandenen Werkzeuge für digitale Musikeditionen sollen mit einer Oxforder Software, dem ‚Music Encoding and Linked Data-Framework‘ (MELD), verknüpft werden. MELD basiert auf der sogenannten ‚Linked Open Data‘-Technik. „Hier werden Daten mit einem streng definierten Vokabular beschrieben, über Schnittstellen bereitgestellt und können so von Dritten weitergenutzt, interpretiert und in Beziehungen gesetzt werden“, beschreibt Röwenstrunk. Mit Detmold/Paderborn und Oxford kooperieren erstmals zwei der größten Einrichtungen, die an und mit dem Format ‚Music Encoding Initiative‘ (MEI) arbeiten, einem Datenformat zum Codieren und Archivieren von Musik.

Im neuen deutsch-britischen Forschungsprojekt können Johannes Kepper und Daniel Röwenstrunk auf Erkenntnissen aus „Beethovens Werkstatt“ aufbauen, einem seit 2014 laufenden Forschungsprojekt des Musikwissenschaftlichen Seminars und des Bonner Beethoven-Hauses. Im Projekt untersuchen Wissenschaftler Beethovens kompositorische Schaffensprozesse und kombinieren dabei die Ansätze der digitalen Musikeditionen sowie der sogenannten genetischen Textkritik.

Erste Ergebnisse von „Beethoven in the House“ werden für das Frühjahr 2021 erwartet. Nach Abschluss des Forschungsprojekts werden alle Erkenntnisse, die entwickelte Software und die erstellten Daten online frei zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen zum ZenMEM und zum Virtuellen Forschungsverbund Edirom: zenmem.de; www.edirom.de

Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Leitung

Dr. Andrew Hankinson

Dr. Johannes Kepper

Kevin Page (Oxford)

Prof. Dr. Christine Siegert (Beethovenhaus Bonn)

Mitarbeiter*innen

David Lewis (Oxford)

Dr. Mark Saccomano

Elisabeta Shibata (Beethovenhaus Bonn)

SHK

Lisa Rosendahl

Det­molder Hoftheat­er 1825–1875 (2014–2021)

gefördert von der DFG (Wiss. Literaturversorgungs- und Informationssysteme) von September 2014 bis Januar 2021

Die in der Lippischen Landesbibliothek Detmold zur Geschichte des Detmolder Hoftheaters verwahrten musikalischen und archivalischen Quellen sind in ungewöhnlicher Breite und Fülle erhalten. Ergänzt werden sie durch Materialien aus dem Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe  (Personalakten etc.) und dem Staatsarchiv Osnabrück (Theaterzettel). Diese Materialien, die bislang entweder nur standardmäßig, z. B. im Internationalen Quellenlexikon der Musik (RISM) (Musikalien), erfasst oder sogar lediglich durch maschinenschriftliche Regesten (Theaterakten) sowie z. T. handschriftliche Zettelkataloge ausgewertet sind, sollen im Rahmen des Projekts kontextuell erschlossen werden.

Es geht darum die überlieferten musikalischen Quellen (Partituren, Stimmen und Partien, Libretti, Rollenhefte) einerseits detaillierter zu beschreiben (inkl. enthaltener Einlagen bzw. Striche sowie handschriftlicher Einträge zu Personen und Aufführungen) und andererseits die zugehörigen archivalischen Quellen im Volltext oder als Regesten digital zu erfassen. Im Rahmen der kontextuellen Tiefenerschließung sollen den auszuwertenden Musikalien dann weitere Informationen, etwa aus den Einnahme-Journalen oder den Regiebüchern des Theaters, zugeordnet werden. In der Folge könnte dann z. B. ein mit Normdaten angereichertes Rollenverzeichnis aller mitwirkenden Schauspieler oder Sänger erstellt werden.

Diese sogenannte kontextuelle Tiefenerschließung wird auf der Basis eines Modells vollzogen, das erst innerhalb des Pilotprojekts entwickelt und an den Daten des Hoftheaterbestands erprobt werden soll, damit es langfristig auch von anderen Bibliotheken für die Erschließung ähnlicher Bestände genutzt werden kann. Die Grundlage dieses Modells bilden die  XML-basierten Codierungsstandards der Music Encoding Initiative (MEI) sowie der Text Encoding Initiative (TEI), die beide sowohl eine bibliothekarische als auch eine wissenschaftliche Erfassung der Dokumente erlauben und durch ihre Anbindung an internationale Datenstandards die Möglichkeit eines gezielten Mappings zu den Datenbeständen anderer Bibliotheken oder Forschungseinrichtungen mit sich bringen.

Die Projektergebnisse werden in einem Portal zusammengeführt, in dem die Digitalisate der Materialien mit den XML-basierten Erschließungsdokumenten unter Rückgriff auf die in Detmold entwickelte Software Edirom Online verknüpft werden. Die Präsentation der Ergebnisse wird auf diese sehr anschauliche Weise dazu beitragen, dem heutigen Forscher oder interessierten Laien ein präziseres Bild vom Wirken des Detmolder Hoftheaters in seiner Blütezeit zu vermitteln.

https://hoftheater-detmold.de/

DFG-View­er für mu­sikalis­che Quel­len (2021–2023)

Di­gitale Mu­sik­ana­lyse mit den Tech­nik­en der Mu­sic En­cod­ing Ini­ti­at­ive (MEI) am Beis­piel der Kom­pos­i­tionsstud­i­en Ant­on Bruck­ners (2017–2019)

Di­git­al Mu­sic Nota­tion Data Mod­el and Pro­to­type De­liv­ery Sys­tem (2009–2014)

Im Rahmen der Bewilligungen innerhalb des DFG/NEH-Förderprogramms wurden zunächst zwei Workshops durchgeführt, durch die der Musikcodierungsstandard MEI in ein internationales Community-Projekt überführt und in den anschließenden Förderphasen so weiterentwickelt werden konnte, dass eine breite Akzeptanz in der wissenschaftlichen Community erreicht werden konnte.

Zur MEI-Website

Ed­ir­om – En­twicklung von Werkzeu­gen für di­gitale For­men wis­senschaft­lich-krit­ischer Mu­sikedi­tion­en (2006–2012)

Das von der DFG geförderte Edirom-Projekt gehört zu den erfolgreichsten Forschungsvorhaben des Musikwissenschaftlichen Seminars. Nach der mehrjährigen Entwicklungsphase wird die Software mittlerweile in vielen neuen digitalen Editionsprojekten eingesetzt.

Zur Edirom-Website

Edi­tion phono­graph­is­cher Mu­sik (2021-2022)

Fre­is­chütz di­git­al (2012–2015)

Das Geschlecht mu­sikalis­cher Dinge (2016-2018)

Gefördert von der Mariann Steegmann Foundation

Zahlreiche Forschungsprojekte, Publikationen, Tagungen und Kongresse deuten darauf hin, dass die Materialität der Welt im Zeitalter der Digitalisierung deutlicher spürbar ist als je zuvor. Auch in der Musikwissenschaft gewinnen Dinge zunehmend an Relevanz. Während der material turn unter dem Schlagwort New Materialism bereits Eingang in verschiedenste Fachrichtungen der feministischen Theoriebildung und Geschlechterforschung gefunden hat,  wurde Gender als wichtige Analysekategorie in den vorliegenden Studien zur materiellen Musikkultur bisher jedoch nur wenig beachtet.

Das im Dezember 2016 unter Leitung von Rebecca Grotjahn und Sarah Schauberger gestartete Projekt betrachtet Instrumente und andere musikalische Objekte aus der Perspektive der Genderforschung. In Anlehnung an Ansätze der materiellen Kultur soll dabei nach den spezifischen Bedeutungen gefragt werden, die Dinge durch ihre materielle Beschaffenheit, das ihrem Gebrauch innewohnende Wissen und die Kontexte ihrer Verwendung erhalten.

Was verraten Dinge über die Gesellschaft und ihre Geschichte? Welche Bedeutungen kommen musikalischen Objekten in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu? Welche Kulturtechniken sind den Dingen eingeschrieben? Und was lässt sich durch die Analyse der Dinge über Geschlechterwissen in einem spezifischen kulturellen Kontext herausfinden? Da der Klang sowie die Bedienung musikalischer Dinge von ihren materiellen Eigenschaften abhängen, sind in diesem Zusammenhang auch die verwendeten Materialien, die Bauformen, das Design, kulturelle Kontexte usw. in den Blick zu nehmen.

Das Potenzial des Ansatzes für die musikwissenschaftliche Genderforschung soll im Rahmen einer vom 23. bis 24. Juni 2017 in Detmold stattfindenden Arbeitstagung ausgelotet werden. An diesem Wochenende werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenkommen, um ihre Perspektive auf konkrete musikalische Objekte zu diskutieren. Die daraus entstehenden Ding-Porträts werden im Jahrbuch Musik und Gender 2018 publiziert.

Um die kulturelle Bedeutung der Dinge im Kontext von Gender näher ergründen zu können, erfolgt im Rahmen des Projekts darüber hinaus eine systematische Sammlung und Dokumentation musikalischer Objekte aller Art.

Jazz im Faschis­mus

Die zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre waren von wichtigen Veränderungen in der Unterhaltungsbranche gekennzeichnet. Während das italienische faschistische Regime zunächst eine modernistisch geprägte Kulturpolitik verfolgte, zog es sich ab Mitte der dreißiger Jahre auf autarkische und auslandsfeindliche Positionen zurück, die während der Kriegzeit noch stärker wurden. Die staatliche Zensur wog schwer. Besonders einige Musikarten wie der Jazz und einige aus Amerika importierte Tänze, die zu Swing-Rhythmen rasche und freie Körperbewegungen erlaubten, wurden mit Härte angegriffen.

Konzeptioneller und methodischer Ausgangspunkt des hier vorgelegten Projekts sind eine Reihe den deutschen Fall betreffende historische Studien. Die Forschungen, die sich bisher mit der italienischen Welt des Jazz befasst haben, verfolgen hingegen überwiegend einen dezidiert musikwissenschaftlichen Ansatz. Von einigen Ausnahmen abgesehen gibt es bisher nur wenige Studien mit historiographischer Ausrichtung. Ziel ist es, zu untersuchen, wie sich das faschistische Regime gegenüber neuen Kulturformen wie dem Jazz und den amerikanischen Tänzen verhielt. Es soll gefragt werden, ob die verpönten Lieder und Tänze als Mittel der Kritik und der Opposition gegen das Regime genutzt wurden. Es wäre auch festzustellen, ob einige der öffentlichen Ordnung und Moral vorgeblich schadende Künstler, Musiker, Drehbuchautoren, Tänzer, Theaterdirektoren, Orchester, Regisseure und Showagenten aus diesem Grund verfolgt wurden. Das Projekt zielt daher nicht eigentlich auf eine Jazzgeschichte der dreißiger und vierziger Jahre ab, sondern auf die Untersuchung der repressiven Richtlinien und Praktiken, die sich einerseits an Fragen der öffentlichen Ordnung und Moral orientierten, andererseits unter dem Einfluss der außenpolitischen Entscheidungen des Regimes auf die Kulturpolitik standen.

Venedig ist ein privilegierter Standort für die Untersuchung dieser Fragen. Die Stadt war ein internationaler kultureller Brennpunkt, in dem das Regime sich kosmopolitisch zeigte. So gilt es, die Theaterpolitik des Festivals der zeitgenössischen Musik von Venedig näher zu durchleuchten. Es wurde offiziell vom faschistischen Komponisten Adriano Lualdi geführt. Tatsächlich aber stand es unter der Leitung des international renommierten Musikers Alfredo Casella, der ein so großer Bewunderer der Jazz-Musik war, dass er die Musikpolitik der Regierung öffentlich herausforderte. Es soll herausgefunden werden, wie hier mit der sogenannten „abartigen Musik“ umgegangen wurde und ob vom Regime ansonsten angefeindete oder verbotene Aufführungen Platz fanden. Dies ist ein Beispiel für unsere Forschung zentral berührende Quellen, die in der Kulturstadt Venedig gehoben werden können.

Kooperation: Deutsches Studienzentrum Venedig

Leitung:

Prof. Dr. Rolf Petri

Prof. Dr. Sabine Meine

Plakat: Il jazz sotto il fascismo (10. Mai 2016)

Tech­no­lo­gi­en des Sin­gens – Un­ter­suchun­gen zum Dis­pos­it­iv Sin­gen - Körp­er - Medi­en in der Frühzeit der Tonauf­nahme

Tex­t­Grid (Pro­jek­t­part­ner 2009–2012)

Das Musikwissenschaftliche Seminar war von 2009 bis 2012 Projektpartner im BMBF-Verbundprojekt TextGrid, mit dem eine Virtuelle Forschungsumgebung für die Geisteswissenschaften aufgebaut werden sollte. Primäre Gegenstände der Arbeit waren die Codierungsstandards MEI und TEI sowie die Entwicklung eines MEI-Score-Editors.

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