Exkursion zum Forschungszentrum Musik und Gender, Hannover, Mai 2019
Seminarfahrt „Quellen und Kontextualisierung; Arbeiten im Archiv des FMG Hannover“
„Es gibt bekannte Bekannte, es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt, das heißt, wir wissen, es gibt einige Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte - es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“
- Donald Rumsfeld (2002)
Sollte dieses Zitat die Frage aufwerfen, was die Worte eines US-amerikanischen Verteidigungsministers mit Musik- und Kulturwissenschaft zu tun haben, so kann der folgende Bericht verdeutlichen: Überraschend viel!
Aber alles der Reihe nach: Am Wochenende von 10. bis 12. Mai bot das musikwissenschaftliche Seminar „Quellen und Kontextualisierung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Antje Tumat, Dr. Nicole Strohmann (FMG) und Anne Fiebig (Informationsmanagerin, FMG) Studierenden aus Paderborn, Detmold und Hannover die Möglichkeit, das Archiv des Forschungszentrums Musik und Gender (FMG) hautnah kennenzulernen und sich für eigenständig mit originalen historischen Quellen auseinanderzusetzen.
Als Institut der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover setzt sich das FMG mit wesentlichem Ausmaß für die institutionelle Etablierung und Verstetigung der Gender Studies in der musikwissenschaftlichen Forschung und Lehre ein. Entstanden ist es im Jahr 2006 und weist mittlerweile über 1.370 Quellen auf. Das Archiv legt ein besonderes Augenmerk auf die Aufbereitung von musikkulturellem Handeln von Frauen aus dem späten 18. bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert. Und somit zurück zu Rumsfeld; dass Musikgeschichte mittlerweile intuitiv mit Haydn, Mozart und Beethoven assoziiert wird, ist das „bekannte Bekannte“. Auch vermeintlich selbstverständliches Wissen gründet jedoch auf Quellen und ihrer Archivierung, die neben Wissensständen auch das uns „bekannte Unbekannte“ bestimmen. So bleibt die Vergangenheit bei aller Bemühung des kulturellen Gedächtnisses ein „löchriger Fetzen“, wie Thomas Carlyle sie einst betitelte.
Ist es vorstellbar, dass bis zur heutigen Zeit unglaublich viel Quellenmaterial existiert, welches nach wie vor nicht entschlüsselt wurde? Zahlreiche Notendrucke, Briefe, Postkarten, Zeitungsartikel und Konzertprogramme bergen gemeinsam mit vielen anderen Schriften noch immer Geheimnisse der Musikkulturen vergangener Jahrhunderte. Wieso kennen wir heute eigentlich keinen weiblichen Mozart?
Konnten wirklich nur männliche Komponisten prachtvolle Lieder, Opern und Sinfonien komponieren, die es wert sind, kanonisiert zu werden? Wer hat es eigentlich nicht in die „Top Ten Hits“ der Musikgeschichte geschafft?
Diese Fragen stellen für Viele zunächst das „unbekannte Unbekannte“ dar - Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Dies hat sich am vergangenen Wochenende für die Seminarteilnehmer geändert. Im Laufe eines dreitägigen Projekts an dem FMG entwickelten sie eigene Forschungsfragen, mit denen originale Quellen des Archivs eigenständig untersucht wurden. Intensive Arbeitsstunden, kurze Nächte und viele Tassen koffeinhaltiger Unterstützung resultierten in Präsentationen, welche die gewonnenen Erkenntnisse über künstlerische Biographien, musikalische Werke und gesellschaftliche Diskurse der kulturellen Vergangenheit veranschaulichten und diskutierten. Die Leiterinnen der Veranstaltung begleiteten die Forschungsprozesse herzlich und kamen den „Forschern“ mit knusprigen Keksen, frischen Früchten, offenen Ohren und vollstem Vertrauen entgegen.
Einen prägenden Abschluss des Seminars bildete ein Treffen mit Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann, Gründerin des FMG und die aktuelle Leitung der HMTMH. Das gemeinsame Gespräch regte viele Denkanstöße zum historischen und aktuellen Umgang mit Gender in sowohl der Musikwissenschaft, also auch der Kultur im Allgemeinen an und mündete in dem Appell, stets neugierig, kritisch und mutig auf gesellschaftliche Gegebenheiten zuzugehen – ob nun im Archiv oder im Alltag. Denn wer auf der Hut vor dem „unbekannten Unbekannten“ bleibt, der kann sich für ein Zusammenleben in Frieden, Wahrheit und Gleichberechtigung einsetzen.
Im Rahmen aller Teilnehmer bedanke ich mich herzlich für die Organisation und allseitige Unterstützung des Seminars und kann in gemeinsamer Übereinstimmung behaupten, dass es sowohl eine individuelle als auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Archivierung, Musik und Gender erfolgreich vorangetrieben hat.
Emily Nass
Paderborn, den 14.05.2019