Bargheers Fiedellieder: Vom Manuskript zur kritischen Hybrid-Edition
Zur Edition
Inzwischen ist die Edition gemeinsam mit der Lippischen Landesbibliothek Detmold veröffentlicht unter folgendem Link.
Zur Idee
Musik in Wissenschaft und Praxis – wie können die Berührungsflächen vergrößert werden und das gemeinsame Anliegen befördert werden? Für das Fach Musikwissenschaft am Standort Detmold liegt der Gedanke, gemeinsam mit Studierenden eine Edition zu erstellen, in diesem Kontext nahe. Durch die Erfahrungen der vier Drittmittelprojekte an der Schnittstelle zwischen kritischer Edition und Digital Humanities bot sich außerdem an, die Edition von vornherein als Hybrid-Edition zu planen. In insgesamt drei Semestern konnten die Studierenden Kenntnisse in den verschiedensten Bereichen entwickeln, und zwar: in Musikphilologie, historischer Recherche und Paläographie ebenso wie bei handwerklich-technischen sowie informatik-bezogenen Fähigkeiten im Umgang mit Notensatz- und Codierungsprogrammen und der XML-basierten Auszeichnung nach den Regeln der Text Encoding Initiative (TEI) als die der Hybrid-Ausgabe zugrundeliegenden Sprache oder im Bereich überfachlicher Qualifikationen wie teamorientiertem Arbeiten, Zeitmanagement, zielgruppenorientierten Präsentationstechniken oder sachbezogene Kommunikation.
Als Forschungsgegenstand wurden die Fiedellieder für Bariton, Violine und Klavier von Carl Louis Bargheer (1831–1902) gewählt, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Hofkapellmeister in Detmold, später Konzertmeister der Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg und ein im deutschsprachigen Raum durchaus bekannter Geiger und Freund u.a. von Johannes Brahms war. Die Quellen zu den Vertonungen der Theodor Storm’schen Gedichte gleichen Namens befinden sich in der Lippischen Landesbibliothek und sind durch die im Vorfeld vereinbarte Zusammenarbeit problemlos zugänglich gemacht worden. Dadurch war es möglich, dass die Studierenden direkt am Material die notwendigen Untersuchungen anstellen konnten. Die dortigen sowie die im Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe befindlichen Sammlungen zur Musik des Lippischen Hofes konnten in Kooperation mit den beiden Institutionen außerdem z.T. neu erschlossen und im Zuge des Projektes umfassend ausgewertet werden. Mit den Bargheer’schen Fiedelliedern liegt also ein Forschungsgegenstand vor, der durch die Quellenlage und die wissenschaftslogistischen Voraussetzungen gut geeignet war, im Rahmen eines Lehr-Projektes näher untersucht und ediert zu werden.
Der Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis erfolgt über drei Wege: Erstens werden die Ergebnisse in Kooperation mit der Lippischen Landesbibliothek und dem am Musikwissenschaftlichen Seminar angesiedelten Edirom-Projekt über Edirom online visuell und auditiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zweitens wird die Edition als gedruckter Notentext im Handel zu erwerben sein und drittens planen und organisieren die Studierenden zusammen mit der Hochschule für Musik Detmold ein Gesprächskonzert. Die Fiedellieder werden also mit dem entsprechenden Hintergrundwissen ausgesuchten Musikerinnen und Musikern nahegebracht und schließlich einem Publikum inklusive der Edition präsentiert.
Zum Inhalt
Das Projekt begann im Wintersemester 2010/2011 mit dem Seminar »Einführung in den professionellen Notensatz«, in dem zunächst den interessierten Studierenden die ›handwerklich-technischen‹ Kenntnisse in den gängigen Notenschreibprogrammen sowie im Bereich des Notensatzes vermittelt wurden. Die umfangreichen Quellen der Fiedellieder dienten von vornherein als Vorlagen zum Erstellen erster Notendateien. Die Aufgabe einer kritischen Edition besteht nicht nur darin, der Praxis reflektierte Ausgaben zur Verfügung zu stellen, sondern soll auch die kulturellen, biographischen, kompositorischen oder werkspezifischen Hintergründe erhellen.
An dieser Stelle setzte die zweite Lehrveranstaltung des Projektes im Sommersemester 2011 an, in der die Studierenden aus den Notendateien eine eigene kritische Hybrid-Edition der Vertonungen erstellten. Die Arbeitsgruppe nutzte dazu die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte – und mit einem Teilprojekt in der Detmolder Musikwissenschaft angesiedelte – digitale Forschungsumgebung TextGrid als internetbasierte Arbeitsplattform zur Vorbereitung der Text- und Musikteile der Edition. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit konnten bereits im Rahmen des Digital Humanities Festakt am 12. und 13. Juli 2011 an der Georg-August-Universität Göttingen in Form eines Posters präsentiert werden.
Die Ergebnisse der letzten beiden Semester erhellten den Hintergrund der Fiedelliedern wie folgt: Die Texte zu den von Bargheer vertonten Liedern schrieb Theodor Storm (1817–1888) ursprünglich für das 1845 erschienene Märchen Das Sonnenkind seines Freundes Ferdinand Röse (1815–1859), erweiterte bzw. überarbeitete sie mehrfach und publizierte verschiedene Fassungen in seit den 1850er Jahren erschienenen Sammelausgaben. Die digitale Edition dokumentiert diese verschiedenen Fassungen der Liedtexte, den Märchentext sowie Informationen zu den an den Texten, an der Musik oder den Quellen in anderer Form beteiligten Personen im digitalen TEI-XML-Format, das eine direkte Implementierung in die Software Edirom ermöglicht. Verbindungen von Bildern und Texten wurden mit dem TextGrid-Text-Bild-Link-Editor erstellt.
Im Bereich der musikalischen Edition ist nach dem Sommersemester 2011 fast lückenlos die komplexe Werkgenese nachvollziehbar, da durch die direkte Quellenarbeit an den beiden erhaltenen Manuskripten der Lieder in der Landesbibliothek die zahlreichen Überklebungen und Korrekturen analysiert und ausgewertet werden konnten. TextGrid kam dabei als Kollationstool zur Erleichterung der Arbeiten am Variantenverzeichnis des Kritischen Berichtes zum Einsatz. Die entstandenen TEI-XML-Dokumente werden im Wintersemester 2011/2012 durch die Software Edirom mit einer taktweisen Konkordanz der Quellenfaksimiles verbunden, wodurch eine einzigartige Transparenz der Edition entsteht. In Kooperation mit dem DFG-Projekt Edirom werden die Ergebnisse dann als open-source-Hybrid-Edition mit gedruckter Notenausgabe präsentiert, die wiederum die Grundlage für die Aufführung der Stücke bilden. Dieses soll ergänzt werden von einer Einspielung der Lieder inklusive aller Varianten, die mit den wort- und musiksprachlichen schriftlichen Anteilen der Edition verknüpft werden sollen. Hierzu gilt es, eine professionelle Aufnahme der Musik zu arrangieren.
Die im Internet frei verfügbare Edition soll erstmals zu Beginn des Sommersemesters 2012 der Öffentlichkeit im Rahmen eines Gesprächskonzertes präsentiert werden, das in Kooperation mit der Hochschule für Musik Detmold von den Studierenden organisiert wird. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung werden dabei von den Studierenden sowohl den Musikern als auch dem Publikum nahe gebracht, während die Veröffentlichung der Hybrid-Edition als open source eine Verbreitung der Erkenntnisse im Medium Internet über die Grenzen von Universität und Musikhochschule hinaus ermöglicht.